Erfahrungsbericht Gemeinschaft Sonnenwald – Helferwoche 03/22 – des Weltendaseins Werdelust

Du interessierst dich für das Leben in einer Gemeinschaft bzw. Ökodorf? Für eine entschleunigte Lebensweise auf dem Land, die eine enkeltaugliche Zukunft ermöglicht?

Die Gemeinschaft Sonnenwald in Schernbach mitten im Schwarzwald bietet verschiedene Möglichkeiten, um Gemeinschafts-Luft zu schnuppern. Unter anderem die Helferwoche (auch liebevoll “Helfiwoche” genannt), bei der du mit etwa 5-10 weiteren Teilnehmern eine Woche lang den Hof unterstützt und Einblicke in das dortige Leben bekommst.

Ich (Kathrin) hab an der Helfiwoche im März 2022 teilgenommen und schilder dir in diesem Artikel meine Erfahrungen und Gedanken dazu, so dass du herausfinden kannst, ob das Ganze auch für dich spannend ist.

Was ist die Gemeinschaft Sonnenwald?

Unter einer Gemeinschaft bzw. Öko-Dorf versteht man einen Zusammenschluss von etwa 50-200 Menschen, die meist auf dem Land zusammen wohnen und sich weitestgehend selbst versorgen – mit Energie, Bio-Lebensmitteln, Rohstoffen und sonstigen Angeboten.

Es geht dabei nicht darum, sich weitestgehend abzuschotten und zu isolieren. Viel mehr geht es darum, die Kreisläufe unseres Lebens und Wirtschaftens wieder bewusst zu gestalten und selbst zu erleben, um so ein nachhaltiges, ursprüngliches und gemeinschaftliches Leben zu leben. Gemeinschaften sind sozusagen die Verwirklichung eines sozial-ökologischen Wandels, der längst überfällig ist.

Die Gemeinschaft Sonnenwald besteht derzeit aus 60 Erwachsenen, 12 Kindern, ca. 10 Langzeithelfern/Praktikanten und 60 Hektar Land.

Vom Hühnerstall zur Markthalle

Unsere Aufgabe während der Helferwoche war es, zu sechst eine alten ca. 100 Jahre alten verstaubten und dreckigen Hühnerstall zu entkernen, so dass die Räumlichkeiten für eine Markthalle genutzt werden können.

Die Gemeinschaft Sonnenwald versorgt sich zum Großen Teil selbst mit Lebensmitteln aus eigenem Anbau. Dabei entstehen auch Überschüsse, die zukünftig in einer Markthalle zum Verkauf für Externe angeboten werden sollen.

Klingt erstmal nach einer wenig interessanten Tätigkeit und war es im Prinzip auch. 😉 Das Besondere liegt aber “zwischen den Zeilen”:

  • In toller Gemeinschaft ein gemeinsames Ziel erreichen
  • Zur Abwechslung mal mit den Händen arbeiten als primär mit dem Kopf – das ist wirklich eine Wohltat für alle verkopften Schreibtisch-Arbeiter 😉
  • Kreative Lösungen für Herausforderungen auf der Baustelle finden (siehe Bild Nr. 4 unten)
  • über sich hinauswachsen und seine handwerklichen Fähigkeiten/Horizont erweitern
Der Hühnerstall vorher
work in progress… Schrauben, Flexen, Sägen…
Endlich Platz zum Tanzen 🙂
Wie holt man möglichst schnell 40 kg schwere T-Träger aus dem 1. Stock? Richtig – mit einer selbsgebauten Holzrutsche!
Die alten Hühnerseelen werden freigelassen
Unsere Pausenküche, in der wir liebevoll mit Kaffee, Tee und Kuchen umsorgt wurden

Wie auf Bild 4 zu erkennen ist, ist das Gebäude der zukünftigen Markthalle recht groß. Im 1. Stock gibt es drei gleichgroße Räume, in denen ehemals Hühnerställe standen (siehe Bild 1). Im Erdgeschoss gibt es ebenfalls drei Räume, ein ehemaliger Schweinestall und zwei Lagerräume.

Der Zeitaufwand, die Hühnerstelle abzubauen, wurde für 10 Personen auf etwa 2 Wochen geschätzt. Weil wir so motiviert waren und eine tolle (Arbeits-)Atmosphäre geschaffen haben wurden wir schon nach einer Woche fertig!

Die Arbeitszeiten waren sehr fair, sodass wir gut was erreichen konnten, ohne über unsere Grenzen zu gehen: Täglich etwa von 10:00-12:30 Uhr und von 15:00-17:30 Uhr – jeweils mit einer Kaffeepause dazwischen, die sehr konsequent eingehalten wurde. 😀

Das klingt erstmal sogar recht wenig und darüber war ich auch überrascht. Allerdings war die Arbeit körperlich echt ziemlich anstrengend: Maske tragen, viel Staub, rostige Schrauben, schwere Bau-Elemente runtertragen… Das lässt sich nicht mit einem 8h-Schreibtisch-Arbeitstag vergleichen.

Manche Übermotivierten haben hier und da noch ne extra-Schicht eingelegt, aber dann am nächsten Tag gemerkt, dass man mit etwas mehr Ruhe, Maß und Achtsamkeit besser und am Ende auch schneller vorankommt.

Jeden Morgen zur Arbeitseinstimmung gab es eine Geschichte aus Liebe zum Leben* oder den Spruch zur zweiten Märzwöche aus dem antroposophischen Seelenkalender von Rudolf Steiner*:

Zweite März-Woche (1913: 16. – 22. März)
Es spricht zum Menschen-Ich,
Sich machtvoll offenbarend
Und seines Wesens Kräfte lösend,
Des Weltendaseins Werdelust:
In dich mein Leben tragend
Aus seinem Zauberbanne
Erreiche ich mein wahres Ziel.

Rudolf Steiner

Hängen geblieben ist von diesem Sprüchlein immer die Wortschöpfung “Des Weltendaseins Werdelust”. Diese Werdelust war in unserer Gruppe sehr spürbar! Nachein paar Tagen waren wir voll im Fluss / Fließband / Ameisenhaufen… und kamen gut voran. 🙂

Kosten

Die Kosten lagen bei 6 Personen bei 75 Euro pro Person: Bio-Verpflegung, Übernachtung, Betreung usw. Die Kosten sind sozusagen Selbstkosten, es verdient hier keiner daran, aber die Ausgaben werden gedeckt.

Ich soll arbeiten und dafür zahlen?!

So ähnlich sind die Kommentare, wenn man anderen davon erzählt, dass man auf eine Helferwoche geht und dafür Geld zahlt. 😉

Hab ich auch erstmal gedacht, aber es wurde uns sehr transparent erklärt, wie die Kosten zustandekommen und dass die Helferwochen aktuell nicht im Budgetplan eingeplant sind. Die Übernachtung lag beispielsweise nur bei 2 Euro pro Nacht, der größte Posten kam durch die hervorragende Verpflegung zustande, die wirklich Hoteltauglich war!

Außerdem ist zu beachten, dass die Gemeinschaft den Wert, den wir als Helfis schaffen, noch nicht genau einschätzen kann. Also bringt die Markthalle in Zukunft wirklich das, was sich die Gemeinschaft davon verspricht? Das weiß keiner so genau und es ist mit Risiken verbunden. Insofern ist die Arbeitskraft und das Tragen der Selbstkosten eine Art Spende, die man zu diesem Ort beitragen möchte – so sehe ich das zumindest.

Auf der anderen Seite nehmen die Helfis auch sehr viel von dem Ort mit: Eindrücke vom Gemeinschaftsleben; Einblicke in die Bereiche Bau, Garten, Landwirtschaft usw.; Abendaktivitäten wie Musik-Improvisation, Kontakt-Improvisation, Sauna, Lagerfeuer uvm.

Ziele und Erwartungen

Meine Wünsche waren, einen Eindruck vom Leben in der Gemeinschaft zu bekommen und einfach mal einen Ausgleich vom kopf-lastigen Arbeiten zu bekommen.

Letzteres hat sich wunderbar erfüllt. Einen Eindruck vom Gemeinschaftsleben habe ich ebenfalls bekommen, allerdings hat man nach einer Woche eher eine vage Idee davon. Deswegen hab ich mich dazu entschieden, auf dem Hof als Langzeithelfer für 2-3 Monate im Garten, Bau oder Landwirtschaft mitzuwirken, um einfach mehr Zeit zu haben, alles kennenzulernen.

Ganz viel Pädagogik – Oder: Die Qualität deiner Fragen bestimmt die Qualität deines Lebens

Etwas überraschend, aber eigentlich logisch für eine Gemeinschaft, wurden wir sehr pädagogisch begleitet. Es gab mehrere Ansprechspartner und (fast) jeden morgen und abend eine Check-in-Runde und eine Check-out-Runde (neben einer Gewaltfreien-Kommunikations-Bedürfnis-Runde, Feedback-Runden uvm. 😀 ).

In diesen Runden hat jeder der Reihe nach mitgeteilt, wie er/sie sich fühlt, was gerade bewegend ist und welche Wünsche es gibt.

Das ist mir anfangs recht schwer gefallen, mich da zu öffnen und wusste auch nicht so recht, was ich da jetzt erzählen soll.

Aber nach ein paar Tagen wurde es ein bisschen Routine und ich habe es zu schätzen gelernt, dass wir so offen und ehrlich miteinander sind und ich denke dadurch ist innerhalb weniger Tage eine starke Verbundenheit gewachsen. Wir hatten das Gefühl einander vertrauen zu können und so wie wir sind gesehen und angenommen zu werden.

Beim Reflektieren darüber, wie ich dieses Pädagogik-Zeugs finde, ist mir ein Spruch wieder eingefallen:

Die Qualität deiner Fragen bestimmt die Qualität deines Lebens!

Zumindest aus meiner Sicht, ist Pädagogik heruntergebrochen nichts anderes als sich sehr gute Fragen zu stellen und sich selbst sowies eine Gefühle, Bedürfnisse, Wünsche, Fähigkeiten usw. zu hinterfragen und die verdiente Wertschätzung zu geben. Insofern bin ich sehr dankbar für die Erfahrung und werde mir (und meinem Umfeld) wieder mehr gute Fragen stellen. 🙂

Gemeinschaften = bescheidenes Leben auf dem Land?

Eine spannende Frage ist, welchen Lebenstandard Menschen in Gemeinschaften haben und sich leisten können bzw. wollen.

Das lässt sich natürlich nicht pauschalisieren und ist in jeder Gemeinschaft unterschiedlich. In der Gemeinschaft Sonnenwald ist es so, dass die Menschen entweder in WGs oder alleine wohnen und etwa zwischen 500 und 1000 Euro Miete zahlen, also ziemlich normale Mietpreise.

Außerdem zahlt jeder eine Bio-Lebensmittel-Pauschale von 280 Euro pro Monat. Dafür können sie sich jederzeit an frischen Lebensmitteln aus dem Kühlhaus bedienen und bekommen täglich eine warme Mittagsmahlzeit.

Derzeit werden die Wohnungen noch mit Öl-Heizungen beheizt, es ist aber ein Blockheizkraftwerk für das ganze Dorf in Planung. Strom kommt zum großen Teil aus einer eigenen Solar-Anlage und funktioniert absolut zuverlässig.

Außerdem gibt es ein reiches “Kulturangebot” – Sauna mit großen Ruheraum, ein eigenes Café, eine große Werkstatt, idyllische Landwirtschaft mit Kühen Hühnern und Schweinen.

Unser Betreuer Daniel meinte, dass die Sonnenwäldler gut im arbeiten, aber nicht im feiern seien. Das ist natürlich schade und ausbaufähig, zum Glück hatten wir am letzten Arbeit eine schöne Party mit den Studis und Praktikanten. 🙂

Also Fazit: So bescheiden ist das Leben hier gar nicht. 😀 Also der Lebensstandard ist eigentlich sehr hoch und gleichzeitig wahrscheinlich deutlich ökologischer (und sozialer) als von der Durchschnittsperson in Deutschland.

Was ich in dieser Woche gelernt habe

Viel zu viel, um das in ein paar Zeilen rüberzubringen… was mir gerade einfällt:

  • dass ich mir selbst und der Welt mehr ein Geschenk, wenn ich mich öffne und mich mit meinen Fähigkeiten mitteile – die Offenheit und das aufrichtige Interesse der Menschen hier hat mich dazu inspiriert, selbst offener zu sein (was auch ganz gut geklappt hat)
  • Handwerkliches Geschick und Vokabular ausbauen/festigen: Flexen, Nut, Ratsche, Nuss… naja manches war wohl bisschen Umgangssprache 😀
  • Eine Gemeinschaft hat einen großen Vorteil und Nachteil zugleich: Es ist immer jemand da 😉 – Gerade wenn es Konflikte gibt, ist das nicht so einfach, gleichzeitig aber auch eine Chance, die Konflikte zu beseitigen und einen gutes Miteinander zu finden, wenn man keine besten Freunde wird.
  • Wie gut körperliche Arbeit tut und dass Erreichen eines gemeinsamen Ziels in der Gruppe, auch wenn es nur das Abbauen dreckiger Hühnerställe ist!

Fazit & Kulturschock in der “normalen” Welt

Nacheiner Woche Land-Idylle war schon ein gewisser Kulturschock vorhanden, als ich auf gefühlt 60qm mit 30 Menschen einkaufen war (ein sehr kleiner Stadt-Supermarkt). 😀

An sich mag ich aber sowohl das lebendige Stadtleben, als auch das lebendige Gemeinschaftsleben auf dem Land. Ich denke letztendlich sind es die Beziehungen zu den Menschen die dafür sorgen, dass wir uns an einem Ort wohlfühlen, egal wo das ist. Trotzdem hat das Gemeinschaftsleben definitiv seinen Reiz und ist ein tolles Konzept für mehr Verbundenheit mit der Natur, den Menschen und den Kreisläufen des Lebens!

Wenn dich das Thema Gemeinschaftsleben und alternative Lebensweise interesiert, ist die Helferwoche eine tolle Gelegenheit, eine Woche Teil einer Gemeinschaft zu sein und vielleicht dein passendes Lebensmodell zu finden. 🙂

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